Burnout bei Müttern: Lange Wartezeiten für Mutter-Kind-Kur
Zeit für sich haben - ein großer Teil der Mütter weiß gar nicht, wie das ist. Viele verausgaben sich für Familie und Beruf. Eine Mutter-Kind-Kur kann helfen. Doch die Wartezeiten sind lang.
Drei Wochen Büsum - drei Wochen Nordseeluft, Sport, Massagen, Fango aber auch viele Gespräche. "Darauf habe ich hingefiebert. Als ich in Büsum ankam, war ich nur noch erleichtert", erzählt Jannike Wohlers.

Sie kommt aus der Nähe von Bremen und hat ihre drei Kinder mitgebracht: fünfjährige Zwillinge und ein zweijähriges Kind. "Alles Jungs, alle mit einer unglaublichen Energie", lacht sie. Die dreifache Mutter lacht viel, wenn sie über sich und ihre Familie spricht. Obwohl ihr schon lange nicht mehr zum Lachen zumute ist.
Mutter-Kind-Kur: Ein Jahr Wartezeit
Seit zwei Wochen ist sie im "Gode Tied" in Büsum, gemeinsam mit 39 weiteren "Muttis", wie sie hier genannt werden. Im Durchschnitt haben sie ein Jahr und drei Monate gewartet, ehe sie hierher kommen durften. "Das finde ich richtig schlimm und geht überhaupt nicht", sagt Stephanie Pokolm, die ebenfalls mit Zwillingen angereist ist. Ihre Kinder sind pflegebedürftig. Zu Hause in Gütersloh hat sie regelmäßig Arzttermine auf dem Zettel. Sie fährt ihre Kinder überall hin, dazu kommt der Haushalt, also Einkaufen, Wäsche machen, Hausaufgaben, Kindergeburtstage. Jeder Tag prall gefüllt.
"Irgendwann konnte ich nicht mehr." Stephanie Pokolm
Der Weg nach Büsum führte über ihren Hausarzt und die Krankenkasse. Um den Platz musste sie sich selbst kümmern. "Die Beratungsstelle bei mir zu Hause war völlig überlastet", sagt sie. Jetzt genieße sie die Kur in vollen Zügen.
100.000 Mütter vor dem Brandenburger Tor
Laut Müttergenesungswerk sind 24 Prozent aller Mütter überlastet. Landesweit gibt es nur 372 Kur-Plätze für sie. "Bei uns im Haus rufen Tausende Frauen pro Jahr unter Tränen an, aber wir können nicht allen einen Platz geben, oder eben erst in einem Jahr", erzählt Katrin Schmidt, die Leiterin des Gode Tied. "In der Zeit verschärfen sich die Probleme zu Hause", sagt sie. Die Mütter sind oft alleinerziehend und berufstätig. Corona hat die Situation der Kinder noch verschärft, ADHS und Autismus bei den Kindern haben zugenommen. Schmidt möchte auf diese Umstände aufmerksam machen und sie will, dass die Bedürfnisse der Frauen "gesellschaftspolitisch wahrgenommen und in Entscheidungen eingebunden werden." Deshalb ist Katrin Schmidt Mitorganisatorin der Aktion "100.000 Mütter vor dem Brandenburger Tor" - am heutigen 10. Mai.
Mütter oft erschöpft und erledigt
Wenn die Frauen ihre Kur antreten, haben sie eines gemeinsam: Sie fühlen sich vollkommen erschöpft. Viele haben Schlafstörungen, berichtet die ärztliche Leiterin Antje Busch. Die meisten bewerten ihre Erschöpfung zwischen acht und zehn auf einer Skala von eins bis zehn. Bei Stephanie Pokolm war es eine Zehn.
"Wir fragen am ersten Tag, wie es ihnen wirklich geht. Oft weinen die Mütter dann, weil sie hier zum ersten Mal gesehen werden und offen sagen können, dass sie keine Kraft mehr haben." Antje Busch, Ärztliche Leiterin

Auch Jannike Wohlers hat kräftezehrende Monate hinter sich. Sie habe nur noch funktioniert und gerade mal vier bis sechs Stunden geschlafen. Und eines hat ihr richtig zu denken gegeben: "Meine Kinder haben genau gemerkt, dass es mir nicht gut geht. Und das hat alles noch schlimmer gemacht."
Ärztin: Mütter nach drei Tagen wie ausgewechselt

Einfach mal nichts zu tun, das müssen die Frauen hier erst einmal wieder lernen. Stephanie Pokolm kann sich noch gut an ihre Gefühle in den ersten Tagen erinnern: "Man kommt hier an, hat tausend Gedanken im Kopf, denkt an seinen Terminkalender und ist gestresst. Hier kommt man automatisch zur Ruhe. Nichts tun, das befreit." Entspannung ist ein wichtiger Teil in den drei Wochen, in denen Antje Busch und ihr Team mit ihren Patientinnen arbeiten. Um die Kinder kümmert sich das hauseigene Jugend- und Kinderland. Schnell kommen die Frauen miteinander ins Gespräch. Und stellen fest, 'ich bin nicht allein, anderen geht es genauso wie mir.'
Bereits nach drei Tagen sind die Patientinnen wie ausgewechselt. "Wir sollten vorher-nachher Fotos machen", sagt die Ärztin. Die Haltung wird aufrechter, die Frauen lachen wieder mehr und wirken gelöster.
Walken und Wassergymnastik zum Runterkommen

Neben Gesprächen und Anwendungen steht auch Sport im "Gode Tied" auf dem Programm. Morgens um 9 Uhr warten die Walkingstöcke im Eingangsbereich. Bei Sonnenschein und kühlem Wind zieht es eine Gruppe über den Deich zur Familienlagune. Stephanie Pokolm ist dabei. Lautstark angeführt von der Trainerin. "So Muttis, jetzt schieben wir uns nach vorne!" In der Lagune angekommen heißt es: sich einfach mal hinstellen, das Gesicht in den Wind halten, die Augen schließen. "Das Walken hilft mir sehr, man atmet anders durch", sagt Pokolm. Eine andere Gruppe Frauen geht ins Bewegungsbad: Wassergymnastik, um den Kopf frei zu kriegen.
Mit Entspannungstechniken aus dem Hamsterrad
Was können drei Wochen bewirken? Die Gefahr ist groß, dass die Frauen zu Hause direkt wieder ins Hamsterrad geraten. Deshalb erhalten sie, erklärt die ärztliche Leiterin Antje Busch, praktische Tipps, um das zu vermeiden. Es gibt Schulungen in Entspannungstechniken, autogenes Training. Jannike Wohlers hat viel über sich und ihre drei Jungs nachgedacht und in ihrer Erziehung einen ersten Ansatzpunkt gefunden. "Ich glaube, ich muss ihnen einfach mehr zutrauen und die Zügel nicht mehr ganz so eng in die Hand nehmen." Die Kinder einfach mal machen lassen, das sei ihr schwer gefallen.
"Geht es mir gut, geht es auch den Kindern gut"
Die ständige Erreichbarkeit, die Doppelbelastung Familie und Beruf und vielleicht auch der eigene Perfektionismus haben den Frauen über die Jahre zugesetzt. Unter ihrem Stress leiden auch die Kinder.
"Mit dem Satz 'geht es mir gut, geht es den Kindern gut' kriegt man sie." Antje Busch, Ärztliche Leiterin
In den drei Wochen können sie hier nicht alles lösen, was über Jahre falsch gelaufen ist. Die eine Lösung gibt es nicht. Aber viele Ansätze, die Antje Busch den Müttern mitgibt. Dazu gehört auch, sich einen Freundeskreis aufzubauen, soziale Kontakte zu pflegen. Und nicht zuletzt: Zeit mit der Familie bewusst einzuplanen. "Die Frauen müssen lernen, sich zu Hause Ruheinseln zu schaffen." Und sei es, dass sie endlich eine eigene Spalte im Familienkalender bekommen, in der sie ihre Termine mit Freundinnen eintragen. "Die haben viele Frauen zu Hause im Kalender nicht." Oder sich einfach mal eine halbe Stunde in die Wanne legen und draußen an der Tür ein "bitte nicht stören Schild" hängen, das die Kinder gebastelt haben.
Mehr Sport und einfach mal Kaffee trinken
Zu Hause in Gütersloh macht Stephanie Pokolm kaum Sport, obwohl sie wie eine Athletin aussieht. "Dafür fehlt mir die Zeit." Das wolle sie nun ändern. Walken am Morgen, das sei schon machbar und wenn es nur eine Viertelstunde ist. Außerdem wolle sie mehr mit dem Fahrrad fahren. Ihre Mitstreiterin Jannike Wohlers will auch etwas aus Büsum mitnehmen. Sie sei öfter in die Stadt gefahren, hatte sich dort hingesetzt und einfach mal eine Tasse Kaffee getrunken. "Bewusst einen Kaffee trinken und sich sagen: 'Das ist jetzt meine Zeit.' Das finde ich total wichtig und das nehme ich mit für mich." Und da ist es wieder, dieses herzliche Lachen.
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