Unsuk Chin über Träume, Wirklichkeit und den Klang von Dunkelheit
Nach ihrer 2007 uraufgeführten Oper "Alice in Wonderland" bringt Unsuk Chin jetzt ihre zweite Oper auf die Bühne: "Die dunkle Seite des Mondes" - ein Kompositionsauftrag der Hamburgischen Staatsoper.
Inspiriert ist die Geschichte vom Leben des Physikers Wolfgang Pauli und seiner Beziehung zu dem Psychiater Carl Gustav Jung. Die Handlung kreist um den genialen Wissenschaftler Dr. Kieron. Tagsüber ist er der renommierte Wissenschaftler, nachts zieht es ihn auf der Suche nach dem Glück in die zwielichtige Unterwelt. Und er geht mit dem diabolischen Meister Astaroth einen folgenschweren Pakt ein. Ein Faust-Stoff des 21. Jahrhunderts. Ein Gespräch mit der Ernst von Siemens Musikpreisträgerin über Träume, Wirklichkeit und den Klang von Dunkelheit.
NDR Kultur: Was war denn zuerst in Ihrem Kopf: die Ideen für die Musik oder die für den Text?
Unsuk Chin: Ich glaube, zuerst kam die Geschichte. Ich hatte eigentlich vor, mit einem Librettisten zusammenzuarbeiten, mit dem ich damals "Alice in Wonderland" gemacht habe, aber aus einem persönlichen Grund musste er absagen. Daraufhin habe ich die ganze Geschichte jahrelang in meinem Kopf durchgespielt und schließlich aufgeschrieben. Da dachte ich mir, also wenn ich die Geschichte selber aufschreibe, dann kann ich ja auch das Libretto selber machen. Das ist für mich etwas ganz Neues, eine Erfahrung, ich zum ersten Mal in meinem Leben gemacht habe. Man kann das mit Kochen vergleichen: Wenn man Essen zubereiten möchte, geht man im Supermarkt oder im Bioladen einkaufen. Aber stellen Sie sich vor, Sie haben Ihren eigenen Gemüsegarten, Ihren eigenen Stall mit Tieren oder eine Käsemacherei - dann müssen Sie nicht mehr aus dem Haus gehen, um Zutaten zu besorgen. Das war schon eine sehr interessante aber auch anstrengende Erfahrung.
Ihre Arbeit hat sich ja über einen langen Zeitraum hingezogen. Gab es Momente, in denen Sie auch dachten: Meine Güte, vielleicht habe ich mir zu viel zugemutet - beides zu machen?
Chin: Eigentlich die ganze Zeit. Mit dem Schreiben habe ich durchaus Erfahrung. Meine ganze Familie, meine Geschwister, die schreiben Bücher. Bücher zu lesen und zu schreiben ist unser Element. Trotzdem - ich bin ja keine Deutsche - habe ich mich gefragt: Würde ich das überhaupt schaffen, diese Art von Text auf Deutsch zu schreiben? Aber als ich damit anfing, hat mich diese Arbeit mit den Wörtern und Texten so in den Bann gezogen. Das ist ganz anders, als Musik zu komponieren. Musik ist ja etwas Abstraktes. Wenn ich ein Stück komponiere, bin ich nie sicher, was daraus wird. Aber diese Macht der Wörter ist einfach so klar, das war wirklich faszinierend. Wie ein starker Sog.
Es ist auf den ersten Blick ein extrem ungewöhnlicher Opernstoff. Inspiriert von dem Physiker Wolfgang Pauli und seiner Begegnung mit C.G. Jung. Der Physiker ist aufgrund seiner Träume auf C.G. Jung zugegangen - das war Ihr Ausgangsmaterial. Was hat Sie denn an der Beziehung zwischen den beiden interessiert?
Chin: Als ich diese Geschichte gelesen hatte, habe ich mich sofort an Goethes "Faust" erinnert. Da gibt es sehr viele Ähnlichkeiten. Das ewige Thema: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wofür wir keine Antwort bekommen werden. Es geht um diese Fragen und darum, dass sich ein Wissenschaftler diese Frage stellt. Nebenbei hat er seine persönliche Macke und sehr viele Probleme. Und dann kommen noch diese turbulenten Träume dazu - diese innere Unruhe. All das fand ich sehr interessant - vor allem seine Träume. Ich hatte sofort musikalische Inspiration.
Sind Träume für Sie selbst auch ein großes Thema?
Chin: Bei mir ist das Träumen auch sehr wichtig. Für mich ist das die richtige Wirklichkeit: Alles, was ich in meinen Träumen erlebe. Und das war bei Wolfgang Pauli genauso. Diese Gemeinsamkeit hat mich also sehr fasziniert.
Nun bleiben Sie ja nicht bei den realen Figuren von Wolfgang Pauli und C.G. Jung stehen, sondern Sie kleiden sie in andere Figuren. Da ist auf der einen Seite der Professor Kieron und auf der anderen Seite Astaroth, der dann die Rolle des C.G. Jung mehr oder weniger übernimmt. Inwieweit unterscheiden sich diese Figuren von den realen Personen?
Chin: Ich habe ein paar Begebenheiten und biografische Grundlagen als Basis genommen und darauf eine sehr starke Fiktion gebaut. C.G. Jung hat durchaus eine fragwürdige Seite, aber trotzdem war er nicht so böse wie Astaroth in meiner Oper. Natürlich gibt es in dieser Oper mehrere Facetten und mehrere Ebenen, aber ich wollte einfach Menschen ohne Maske zeigen. Ich wollte zeigen, wie die Menschen so sind, wenn sie die Maske fallen lassen.
Sie haben ja ganz verschiedene Ebenen in dem Stoff, in der Handlung, die Sie dann auch in der Musik aufgreifen: Sie haben einerseits den Physiker, den Wissenschaftler, andererseits den Psychoanalytiker. Dann haben Sie die Traumwelt und die reale Welt. Können Sie uns ein bisschen sagen, wie Sie das musikalisch umsetzen?
Chin: Ich habe versucht, in jeder Szene eine andere musikalische Sprache zu benutzen. Zum Beispiel wenn (Professor) Kieron im Institut mit seinen Studenten zusammen ist und alle anpöbelt, dann ist die Musik sehr akademisch aufgebaut - mit viel Kontrapunkt. Und wenn Astaroth irgendwelche Scheinwahrheiten predigt und die Musik sehr dunkel ist, dann gibt es so abfallende oder chromatische Harmonien im dunklen Bereich - das gibt so eine Atmosphäre von böse sein, hoffe ich.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.
